Grundsatz: Auch nach Trennung/Scheidung besteht weiterhin das gemeinsame Sorgerecht

Trennen sich verheiratete Eltern oder lassen sie sich scheiden, so bleibt es grundsätzlich beim gemeinsamen Sorgerecht. Im Scheidungsverfahren wird deshalb grundsätzlich das Sorgerecht gar nicht thematisiert, das Gericht entscheidet auch normalerweise nicht darüber. Im Scheidungsverfahren wird nur dann ausnahmsweise über das Sorgerecht entschieden, wenn einer oder beide Ehegatten dies ausdrücklich beantragen.
Trennen sich unverheiratete Eltern, die das gemeinsame Sorgerecht haben, so bleibt es ebenfalls grundsätzlich beim gemeinsamen Sorgerecht.

Übertragung des alleinigen Sorgerechts

Eine Änderung des gemeinsamen Sorgerechts ist nur durch das Familiengericht möglich. Es reicht nicht aus, dass die Eltern untereinander vereinbaren, dass einer von ihnen das alleinige Sorgerecht bekommen soll. Ein Elternteil kann aber beim Familiengericht beantragen, dass ihm das alleinige Sorgerecht übertragen wird, falls das gemeinsame Sorgerecht aus irgendeinem Grunde nicht funktioniert – z.B. weil die Eltern unheilbar zerstritten sind, oder weil ein Elternteil weit entfernt wohnt und deshalb praktisch nicht mitwirken kann. Dieser Antrag kann auch dann gestellt werden, wenn sich die Eltern einig sind, dass das alleinige Sorgerecht eines Elternteils für das Kind besser wäre. Ist beim Familiengericht bereits ein Scheidungsverfahren anhängig, so kann der Antrag auf Übertragung des alleinigen Sorgerechts im Scheidungsverfahren als Zusatzantrag gestellt werden. In diesem Fall muss der Antrag allerdings von einem Anwalt gestellt werden.

Die Entscheidung des Gerichts richtet sich danach, was für das Wohl des Kindes am besten ist.

Falls beide Eltern mit der Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf einen Elternteil einverstanden sind, folgt das Gericht in der Regel diesem gemeinsamen Elternwillen.

Problematisch sind diejenigen Fälle, in denen ein Elternteil die Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf sich beantragt, der andere Elternteil damit aber nicht einverstanden ist. In einem solchen Fall kann das alleinige Sorgerecht gegen den Willen des anderen Elternteils nur übertragen werden, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind:

Erstens muss es für die Durchführung des gemeinsamen Sorgerechts erhebliche Schwierigkeiten geben. Das kann z.B. der Fall sein, weil die Eltern so zerstritten sind, dass sie auch in Fragen des Kindes keine gemeinsame Lösung finden können. Welcher Elternteil an dieser Situation “Schuld” hat, ist unerheblich. Lehnen z.B. Kinder den Kontakt zum Vater strikt ab, so kann der Mutter das alleinige Sorgerecht auch dann übertragen werden, wenn sie durch ihr eigenes Verhalten die Entfremdung verursacht hat (KG FF 2015,465). Es kann aber auch der Fall sein, wenn ein Elternteil das gemeinsame Sorgerecht rein faktisch nicht ausüben kann, z.B. weil er sehr weit weggezogen ist. Bloße Meinungsverschiedenheiten reichen aber nicht aus, um das Sorgerecht nur einem der Eltern zu übertragen. Ebenso wenig spricht allein die Tatsache, dass ein Elternteil das gemeinsame Sorgerecht ablehnt, gegen ein gemeinsames Sorgerecht.

Zweitens müssen diese Schwierigkeiten zu nachteiligen Auswirkungen auf das Befinden bzw. Empfinden des Kindes führen, also das Kindeswohl beeinträchtigen. Diese Voraussetzung ist zwar in der Regel erfüllt, wenn die Eltern heillos zerstritten sind. Es kann aber ausnahmsweise auch einmal anders sein. Wenn z.B. die Eltern zwar nicht miteinander reden können, ohne dass es sofort Streit gibt, der Vater sich aber damit abfindet, dass die Mutter die Belange des Kindes allein regelt, so liegt kein Grund für die Übertragung des alleinigen Sorgerechts vor (OLG Frankfurt FamRB 2012,338). Denn dann macht es gar keinen Unterschied, ob es ein alleiniges Sorgerecht gibt oder nicht.

Betreffen die Schwierigkeiten der Eltern mit der gemeinsamen Sorge nur Teilbereiche der elterlichen Sorge, so kann es ausreichen, dass das Gericht auch nur für diese Teilbereiche das gemeinsame Sorgerecht aufhebt. Es gibt also die Möglichkeit, dass einem der Eltern nur ein Teil der elterlichen Sorge übertragen wird, z.B. hinsichtlich des Schulbesuchs oder der Ausbildung des Kindes oder bei Streit über die Gesundheitsbehandlung. Auch das so genannte Aufenthaltsbestimmungsrecht, also das Recht zu bestimmen, wo das Kind wohnt, ist ein Teil des Sorgerechts und kann isoliert einem Elternteil allein übertragen werden, wenn sich die Eltern über den Aufenthalt des Kindes nicht einigen können.

Das Gericht muss danach entscheiden, was für das Wohl des Kindes am besten ist. Lässt sich bei Themen, über die die Eltern streiten, nicht feststellen, welche Lösung besser ist, so bleibt es auch hinsichtlich des strittigen Punktes beim gemeinsamen Sorgerecht. Können sich Eltern z.B. nicht darüber einigen, ob ihr Kind getauft werden soll, so kann das Gericht nicht das Sorgerecht einem der Eltern allein übertragen. Denn es lässt sich nicht feststellen, dass eine Taufe dem Wohl des Kindes entspricht (OLG Hamm 12 UF 53/14).

Ist das Kind bereits 14 Jahre alt oder älter, so kann es der Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf einen Elternteil widersprechen.

In der Praxis holt das Familiengericht zur Vorbereitung seiner Entscheidung meist eine Stellungnahme des Jugendamts ein. Eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter des Jugendamts führt dann getrennte Gespräche mit beiden Elternteilen und ggfl. auch mit dem Kind und schreibt anschließend einen Bericht für das Gericht. Empfehlungen des Jugendamts sind für das Gericht allerdings nicht bindend.

Achtung Gefahr: psychologische Gutachten!

Bei sehr streitigen Verfahren kann das Gericht außerdem ein kinderpsychologisches Gutachten einholen. Sobald dies geschieht, ist es nach unserer Erfahrung DRINGEND angeraten, sich anwaltlicher Hilfe zu bedienen. Denn leider sind solche psychologischen Gutachten nicht selten oberflächlich und inhaltlich falsch! Eine Untersuchung der Universität Hagen hat ergeben, dass die Mehrheit der untersuchten Gutachten “erhebliche methodische Fehler” enthielt. Dies deckt sich leider mit unseren Erfahrungen. Leider sind viele Richter und Rechtsanwälte viel zu unkritisch in Bezug auf solche Gutachten.

Ordnet das Gericht die psychologische Begutachtung eines Elternteils an, so kann hiergegen Beschwerde erhoben werden (OLG Frankfurt NZFam 2015,423). Ein Elternteil darf nicht gezwungen werden, sich psychologisch untersuchen zu lassen. Der zu begutachtende Elternteil hat das Recht, dass bei der Begutachtung eine Person seines Vertrauens anwesend ist (OLG Hamm NZFam 2015,425; a.A.: KG 3 UF 1069/20).

Das Familiengericht muss vor der Beauftragung eines Gutachters den Eltern Gelegenheit geben, sich zur Person des Gutachters zu äußern. Gegebenenfalls kann der Gutachter abgelehnt werden. Einen Ablehnungsgrund stellt es z.B. dar, wenn die Gutachterin mit einem Verein “zur Stärkung der Frauenrechte” zusammenarbeitet (OLG Frankfurt NZFam 2021,800).

Die Sorgerechtsvollmacht:

Um Probleme bei gemeinsamen Sorgerecht, zu vermeiden so kann der umgangsberechtigte Elternteil dem anderen Elternteil eine so genannte Sorgerechtsvollmacht erteilen. Dies ist eine schriftliche Vollmacht, wodurch der andere Elternteil die gleichen Alleinentscheidungsrechte erhält wie beim alleinigen Sorgerecht. Allerdings kann eine solche Sorgerechtsvollmacht kann jederzeit widerrufen werden. Deswegen eignet sie sich nur bei Eltern, die sich im Prinzip einig sind. Eine einseitig erstelle Sorgerechtsvollmacht kann nicht verhindern, dass der andere Elternteil trotzdem auf Antrag das alleinige Sorgerecht bekommt. Sie kann aber zumindest eine einstweilige Anordnung zum Sorgerecht verhindern.

Hier gibt es ein Muster für eine Sorgerechtsvollmacht.

Statt des alleinigen Sorgerechts: Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts

In vielen Fällen reicht es aus, dass statt des gesamten Sorgerechts nur ein Teil des Sorgerechts auf einen Elternteil allein übertragen wird. Häufigste Anwendungsfälle sind die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts (also das Recht zu bestimmen, wo das Kind wohnt) und die Übertragung der Gesundheitsfürsorge.

Ab welchem Alter darf das Kind selbst entscheiden, bei welchem Elternteil es leben will?

Solange ein Kind minderjährig ist, darf es rein rechtlich betrachtet überhaupt nicht selbst entscheiden, wo es leben will – egal, wie alt das Kind ist. Auch ein 14- oder 16-jähriges Kind kann nach dem Gesetz seinen Wohnsitz also nicht selber bestimmen. Denn es ist eben minderjährig, d.h. die Eltern müssen im Rahmen ihrer Sorgepflicht den Wohnort festlegen.

Falls sich die Eltern darüber streiten, wo das Kind leben soll, muss das Gericht prüfen, welche Lösung dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Bei dieser Prüfung sind meist mehrere Gesichtspunkte zu berücksichtigen: welcher Elternteil hat sich bislang hauptsächlich um das Kind gekümmert, wo hat das Kind eine stabilere und verlässlichere Lebenssituation, wo leben etwaige Geschwister, welche Lösung ist mit den geringsten Veränderungen für das Kind verbunden usw. In diesem Rahmen ist dann auch der eigene Wunsch des Kindes von Bedeutung. Welchen Einfluss der eigene Wille des Kindes auf die Entscheidung hat, hängt u.a. vom Alter des Kindes ab. Je älter ein Kind ist, umso weniger wird man eine Entscheidung gegen den Willen des Kindes treffen. Will z.B. ein 14-jähriges Kind unbedingt beim anderen Elternteil wohnen, so hat dieser Wunsch angesichts des Alters des Kindes meist Vorrang vor irgendwelchen anderen Erwägungen. Bei jüngeren Kindern hingegen können andere Gesichtspunkte ausschlaggebend dafür sein, gegen den Willen des Kindes zu entscheiden. Allerdings: zwingend zu befolgen ist der Wunsch auch bei älteren Kindern nicht. Erweist sich z.B. der Wunsch eines 15-jährigen Mädchens, beim Vater zu wohnen, als für das Kindeswohl höchst gefährlich, weil der Vater dauernd in kriminelle Machenschaften verwickelt ist, so wird das Gericht dem Willen des Kindes nicht folgen.

Abänderung einer einmal getroffenen Sorgerechtsentscheidung:

Eine einmal vom Gericht getroffene Sorgerechtsentscheidung kann auf Antrag eines Elternteils nachträglich wieder geändert werden. Getroffene Regelungen zum Sorgerecht sind nie endgültig, da im Lauf der Entwicklung eines Kindes sowohl in dessen Person liegende als auch äußere Umstände Anlass dazu geben können, die ursprüngliche Regelung im Interesse des Kindes abzuändern.

Eine Sorgerechtsentscheidung kann aber nur dann abgeändert werden, wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist, § 1696 I BGB.