Grundsatz: Für die Vergangenheit, also rückwirkend, kann grundsätzlich kein Unterhalt verlangt werden!

Vielmehr kann Unterhalt (bzw. höherer Unterhalt) in der Regel erst ab dem Zeitpunkt geltend gemacht werden, zu dem eine Zahlungsaufforderung kommt.

Beispiel: Der Ehefrau F. steht nach dem Gesetz ein nachehelicher Unterhaltsanspruch zu. Die Ehe wurde am 10.4.2015 geschieden. Der (Ex-)Ehemann zahlt aber keinen Unterhalt. Erst am 20.7.2015 meldet sich Frau F. bei ihrem geschiedenen Mann und fragt, wo denn ihr Unterhalt bleibt. Da Frau F. erst im Juli den Unterhalt angefordert hat, kann sie auch erst ab Juli Unterhalt bekommen. Sie kann nicht rückwirkend ab April Unterhalt verlangen. Die Monate April, Mai und Juni sind ihr also verloren gegangen.

Deshalb ist es für den Unterhaltsberechtigten wichtig, den Unterhalt sofort einzufordern und sich nicht erst noch Zeit zu lassen!

Ausnahmen:

Von diesem Grundsatz gibt es folgende Ausnahmen:

1. Wenn der Unterhaltspflichtige bereits aufgefordert wurde, Auskunft über sein Einkommen zu erteilen.

In diesem Fall wird Unterhalt ab dem Monat geschuldet, in dem das Auskunftsbegehren erfolgte, § 1613 Abs. 1 BGB.

Beispiel: Am 12.2.2015 forderte der Anwalt der Ehefrau den Ehemann auf, seine Einkommensnachweise vorzulegen. Im April 2015 legte der Ehemann die Einkommensnachweise vor, und im Mai errechnet der Anwalt der Ehefrau daraus ihren Unterhalt. Dieser Unterhalt kann dann ab dem 1.2.2015 nachverlangt werden.

TIPP: Kommt die Aufforderung von einem Anwalt, so kann der angeschriebene Unterhaltspflichtige die Aufforderung umgehend schriftlich zurückweisen, falls keine schriftliche Vollmacht des anderen Ehegatten beigefügt war. In diesem Fall muss der Gegenanwalt eine neue Aufforderung samt Vollmacht schicken, wodurch der Unterhaltspflichtige ggfl. einen Monat Unterhalt einspart.

2. Wenn sich der Unterhaltspflichtige mit dem Unterhalt in Verzug befindet.

In Verzug befindet er sich in folgenden Fällen:

(1) Wenn er bereits zur Zahlung von Unterhalt gemahnt wurde.

Eine Mahnung liegt dann vor, wenn der Gläubiger deutlich macht, dass er ab einem bestimmten Zeitpunkt einen bestimmten Betrag verlangt. Keine ausreichende Mahnung ist es daher, wenn es nur heißt: “Zahl ab nächsten Monat den Unterhalt”.
Andererseits ist es unschädlich, wenn zu viel verlangt wird. Wird z.B. ein Unterhalt von 500,- Euro verlangt und stellt sich hinterher heraus, dass (nur) ein Unterhalt von 350,- Euro gerechtfertigt ist, so können ab dem Zeitpunkt der Mahnung die 350,- Euro rückwirkend verlangt werden.

Wichtig: Die Mahnung muss entweder vom Unterhaltsberechtigten selbst kommen, oder von einem Bevollmächtigten. Dieser Bevollmächtigte muss nicht unbedingt ein Anwalt sein. Der Bevollmächtigte muss allerdings seine Vollmacht nachweisen.
Wird ein Kind volljährig, so sind weder seine Mutter noch das Jugendamt automatisch berechtigt, für das Kind Forderungen zu stellen.

Besonderheit beim Ehegattenunterhalt: Nach der Rechtsprechung sind der Trennungsunterhalt und der nacheheliche Unterhalt zwei verschiedene Tatbestände. Deshalb muss der unterhaltspflichtige Ex-Ehegatte nach der Scheidung (erneut) gemahnt werden, nun den nachehelichen Unterhalt zu zahlen. Eine Mahnung, die vor der Scheidung erfolgte, konnte nur den Trennungsunterhalt betreffen und wirkt nach der Scheidung nicht weiter fort. Siehe dazu unten Punkt 6.

(2) Eine Rechtswahrungsanzeige der Unterhaltsvorschusskasse steht einer Mahnung gleich.

Beispiel: Der Vater trennt sich im August von seiner Familie, zahlt aber zunächst keinen Kindesunterhalt. Die Mutter wendet sich deshalb an die Unterhaltsvorschusskasse, die dem Vater im Oktober eine so genannte Rechtswahrungsanzeige schickt. Aufgrund dieser Rechtswahrungsanzeige kann später ab Oktober der Unterhalt nachverlangt werden.

(3) Falls es eine feste Zahlungsvereinbarung gibt.

Wurde z.B. vereinbart, dass immer bis zum 3. eines Monats ein bestimmter Unterhalt zu zahlen ist, so kommt der Unterhaltspflichtige auch ohne Mahnung in Verzug, wenn er nicht pünktlich zahlt. In diesem Fall kann der Unterhalt rückwirkend verlangt werden.

3. Wenn der Unterhaltspflichtige auf Zahlung von Unterhalt verklagt wurde.

In diesem Fall kann Unterhalt ab Zustellung des Klageantrags verlangt werden.

4. Wenn über den Unterhalt bereits ein Urteil, ein Vergleich, eine notarielle Vereinbarung oder eine Jugendamts-Urkunde existiert.

In diesem Fall kann ausstehender Unterhalt auch rückwirkend verlangt werden.

5. Besonderheiten beim Kindesunterhalt:

Kindesunterhalt kann auch dann rückwirkend verlangt werden, wenn eine rechtzeitige Geltendmachung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich war.

Ein Fall rechtlicher Unmöglichkeit liegt z.B. vor, solange die Vaterschaft eines nichtehelichen Vaters nicht anerkannt oder festgestellt wurde. Erst ab Anerkennung bzw. Feststellung der Vaterschaft kann Kindesunterhalt verlangt werden, dann aber auch rückwirkend. Das kann dazu führen, dass der Vater – dem seine Vaterschaft vielleicht bis dahin selbst nicht bekannt war – für viele Jahre Unterhalt nachzahlen muss! Allerdings muss der rückständige Unterhalt alsbald nach Anerkennung bzw. Feststellung der Vaterschaft geltend gemacht werden, sonst kann der Anspruch verwirkt sein.

Erfährt der nichteheliche Kindesvater erst nach vielen Jahren davon, dass er ein Kind hat, weil die Kindesmutter ihn bis dahin nicht informiert hat, so kann der Anspruch auf Kindesunterhalt für die Vergangenheit aber verwirkt sein (OLG Saarbrücken NZFam 2014,1003).

Ein Fall rechtlicher Unmöglichkeit liegt z.B. vor, wenn der Aufenthaltsort des Kindesvaters unbekannt ist.

6. Besonderheit beim Ehegattenunterhalt:

Nach der Rechtsprechung sind der Trennungsunterhalt und der nacheheliche Unterhalt zwei verschiedene Tatbestände.

Das hat vor allem folgende Wirkung: Der Unterhaltspflichtige Ex-Ehegatte muss nach der Scheidung (erneut) gemahnt werden, nun den nachehelichen Unterhalt zu zahlen. Eine Mahnung, die vor der Scheidung erfolgte, konnte nur den Trennungsunterhalt betreffen und wirkt nach der Scheidung nicht weiter fort.

Beispiel: Die Eheleute leben getrennt, sind aber noch nicht geschieden. Am 1. März mahnt die Ehefrau den Ehemann, Unterhalt zu zahlen. Am 30. Juni wird die Ehe geschieden. Der Ehemann zahlt nur bis einschließlich Juni Unterhalt, danach nicht mehr. Im September verlangt die Ex-Ehefrau rückwirkend Unterhalt für die Monate Juli und August. Hierauf hat sie aber keinen Anspruch: die Mahnung vom 1.März betraf nur den Trennungsunterhalt. Nach der Scheidung wurde der Ehemann nicht (erneut) ermahnt, nachehelichen Unterhalt zu zahlen. Er muss daher erst wieder Unterhalt ab der neuen Aufforderung im September zahlen. Die Ehefrau hätte sofort nach der Scheidung erneut mahnen müssen.

Ähnliches gilt im Falle eines Urteils auf Zahlung von Ehegattenunterhalt: Wird der Unterhaltspflichtige verurteilt, Trennungsunterhalt zu zahlen, so gilt dieses Urteil nur bis zur Scheidung. Nach der Scheidung muss er ausdrücklich zur Zahlung von nachehelichem Unterhalt aufgefordert werden. Wird dies unterlassen, so schuldet der Unterhaltspflichtige für diese Zeit keinen nachträglich Unterhalt.

Beispiel: Das Gericht hat den Ehemann am 1.3. verurteilt, Trennungsunterhalt zu zahlen. Am 30.6. wird die Ehe geschieden. Danach zahlt der Ehemann keinen Unterhalt mehr. Im September verlangt die Ex-Ehefrau rückwirkend Unterhalt für die Monate Juli und August. Hierauf hat sie aber keinen Anspruch: das Urteil vom 1.3. betraf nur den Trennungsunterhalt und gilt nicht für die Zeit nach der Scheidung. Der Ehemann muss daher erst wieder Unterhalt ab der neuen Aufforderung im September zahlen. Die Ehefrau hätte sofort nach der Scheidung erneut mahnen müssen.

7. Sonderbedarf kann immer auch für die Vergangenheit verlangt werden, § 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB.

Mehr dazu in unserem Kapitel “Sonderbedarf” .

8. Wenn der Unterhaltsanspruch aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht früher geltend gemacht werden konnte, § 1613 Abs. 2 Nr. 2BGB.

Diese Voraussetzung liegt z.B. vor, wenn die Vaterschaft noch nicht anerkannt wurde, oder wenn der Unterhaltspflichtige unbekannten Aufenthalts ist. (Anmerkung: diese Regelung gilt nicht für den nachehelichen Unterhalt).

III. Ausnahmen von den Ausnahmen:

WICHTIG: In folgenden Fällen kann trotzdem kein Unterhalt für die Vergangenheit verlangt werden, obwohl eine der oben genannten Voraussetzungen vorliegt:

1. Nachehelicher Unterhalt kann trotz früherer Mahnung maximal ab ein Jahr vor Klageerhebung gefordert werden, § 1585 b Abs. 3 BGB.

Beispiel: Die Ex-Frau fordert nach der Scheidung erstmals am 1.1.2019 den Ex-Mann zur Unterhaltszahlung auf. Der Ex-Mann zahlt nicht, auch nicht nach weiteren Mahnungen. Erst über ein Jahr später, am 1.2.2020, klagt die Ex-Frau den Unterhalt ein. Sie kann rückwirkend erst ab dem 1.2.2019 Unterhalt fordern.

2. Der Unterhaltsanspruch für die Vergangenheit kann verwirkt sein, wenn der Unterhaltsberechtigte über einen längeren Zeitraum – i.d.R. mindestens 1 Jahr lang – keinen Unterhalt gefordert hat und der Unterhaltsverpflichtete aufgrund des Verhaltens des Berechtigten davon ausgehen konnte, es werde für diesen Zeitraum kein Unterhalt mehr geltend gemacht.

Beispiel: Die Ehefrau forderte zuletzt im Januar 2016 Unterhalt, danach hat sie sich bis zum Frühjahr 2018 nicht mehr gerührt. Da der Ehemann darauf vertrauen konnte, dass sie keinen Unterhalt verlangt, muss er nicht rückwirkend ab Februar 2016 Unterhalt zahlen, sondern erst ab Frühjahr 2018.

Eine solche Verwirkung rückständiger Unterhaltsforderungen kann auch beim Kindesunterhalt eintreten.

Sogar dann, wenn der Unterhalt tituliert wurde, also wenn es ein urteil oder eine Jugendamtsurkunde gibt, kann Verwirkung eintreten, wenn sich der Unterhaltsgläubiger über ein Jahr lang nicht um die titulierte Forderung kümmert. Anders natürlich, wenn er z.B. erfolglos versucht hat, zu vollstrecken.

Zu beachten ist:
Eine Verwirkung gilt immer nur für die Vergangenheit. In dem Beispielsfall ist die Frau also nicht gehindert, ihren Unterhaltsanspruch für die Zeit ab Frühjahr 2018 geltend zu machen.

Erklärvideo zum Thema “Rückwirkender Unterhalt”