Muss ein unterhaltspflichtiger Elternteil auch dann den vollen Kindesunterhalt zahlen, wenn der betreuende Elternteil ein höheres Einkommen hat?

Hat derjenige Elternteil, bei dem das minderjährige Kind lebt, ein wesentlich höheres Einkommen als der andere Elternteil, so muss sich der betreuende Elternteil in bestimmten Fällen am Unterhalt beteiligen. In einem solchen Fall schuldet der andere Elternteil möglicherweise sogar gar keinen Kindesunterhalt mehr.

Vorausgesetzt wird aber immer, dass der barunterhaltspflichtige Elternteil seiner normalen Erwerbspflicht nachkommt, d.h. vollschichtig erwerbstätig ist. Von dieser Erwerbspflicht gibt es nur dann Ausnahmen, wenn dieser Elternteil nachweisbar keinen Vollzeitarbeitsplatz finden kann, wenn er aus gesundheitlichen Gründen nicht uneingeschränkt erwerbsfähig ist, oder wenn er ein Kind unter drei Jahren zu betreuen hat.

Es kommen folgende Fälle in Betracht:

1. Fall: Das anrechenbare Nettoeinkommen des betreuenden Elternteils ist mindestens dreimal so hoch wie das anrechenbare Einkommen des an sich allein barunterhaltspflichtigen Elternteils. Dann kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass der betreuende Elternteil den Kindesunterhalt selbst allein tragen muss (BGH FamRB 2013,382).

Beispiel 1: Das 10-jährige Kind lebt bei der Mutter. Der unterhaltspflichtige Vater verdient netto 1.300,- Euro. Die Mutter verdient netto 4.100,- Euro. Sie gibt monatlich 200,- Euro für Kinderbetreuung aus. Zieht man vom Einkommen der Mutter die 200,- Euro Betreuungskosten ab, dann bleibt ihr ein Nettoeinkommen von 3.900,- Euro. Dieses Einkommen ist dreimal so hoch wie das Einkommen des Vaters. Deshalb muss die Mutter allein für den Kindesunterhalt aufkommen.

Dieser Fall tritt also nur bei sehr guten Einkünften des betreuenden Elternteils ein.

Wichtig: Ist der betreuende Elternteil neu verheiratet, so zählt zu seinem Einkommen auch ein eventueller Taschengeldanspruch gegen den besser verdienenden neuen Ehegatten. Dieser Taschengeldanspruch beläuft sich auf 6% des Netto-Einkommensunterschieds.

2. Fall: Das anrechenbare Einkommen des betreuenden Elternteils ist zwar nicht dreimal so hoch wie das Einkommen des anderen Elternteils, aber trotzdem wesentlich höher (mindestens um netto 500,- Euro, vgl. OLG Schleswig NZFam 2014,712; OLG Brandenburg NZFam 2015,1013) und dem anderen (barunterhaltspflichtigen) Elternteil würden weniger als 1.400,- Euro (“angemessener Selbstbehalt”) übrig bleiben, wenn er den Kindesunterhalt allein zahlen müsste.

In einem solchen Fall muss sich der betreuende Elternteil i.d.R. am Barunterhalt beteiligen. Man geht in diesem Fall weiterhin von demjenigen Betrag aus, den der andere Ehegatte eigentlich nach der Düsseldorfer Tabelle zu zahlen hätte. Die Einkommen der Eltern werden also nicht zusammenaddiert (BGH FamRB 2013,382).

Beispiel 2: Der Vater hat ein anrechenbares Nettoeinkommen von 1.500,- Euro. Er müsste seinem 5-jährigen Kind, das bei der Mutter lebt, eigentlich 252,- Euro Kindesunterhalt zahlen. Dann wäre aber sein angemessener Selbstbehalt von 1.400,- Euro unterschritten. Wenn die Mutter des Kindes, bei der das Kind lebt, ein anrechenbares Nettoeinkommen von 2.000,- Euro oder mehr hat, muss sie sich deshalb am Barunterhalt beteiligen.

In einem solchen Fall muss der barunterhaltspflichtige Elternteil insoweit Unterhalt zahlen, als sein Einkommen über 1.400,- Euro liegt. Im Beispielsfall müsste der Vater also 100,- Euro zahlen. Den Rest muss die Mutter übernehmen.

Man muss aber darauf achten, dass dem betreuenden Elternteil auch nach seiner Inanpruchnahme noch ein wesentlich höheres Einkommen zur Verfügung stehen muss als dem anderen Elternteil. Die Differenz sollte bei mindestens 300,- Euro liegen (OLG Hamm FamRZ 2008,1271, vgl. auch BGH FamRZ 2913,1558).

Geht es um den Unterhalt für ein Kind unter drei Jahren, so muss beachtet werden, dass der betreuende Elternteil eigentlich gar nicht berufstätig sein müsste. Denn die Erwerbspflicht des betreuenden Elternteils beginnt erst mit dem dritten Geburtstag des Kindes. Ist der betreuende Elternteil dennoch berufstätig, so ist dies “überobligatorisch”. Sein Einkommen darf daher beim Einkommensvergleich der Eltern allenfalls teilweise berücksichtigt werden (Scholz, FamRZ 2006,1730).