Was ist Sonderbedarf?

In Einzelfällen kann ein besonderer Bedarf der Kinder bestehen, der durch den laufenden Tabellenunterhalt nicht gedeckt ist. Bei diesem Sonderbedarf handelt es sich um einen unregelmäßigen, außerordentlich hohen Bedarf, der überraschend und der Höhe nach nicht vorhersehbar war. Typisch für den Sonderbedarf ist, dass er aus dem normalen, laufenden Unterhalt nicht gezahlt werden kann und auch nicht angespart werden kann.

Einzelfälle: Sonderbedarf ja oder nein?

Die folgende Auflistung soll einen Überblick über die einzelnen Fallgestaltungen geben. Die Rechtsprechung der Gerichte ist allerdings sehr unterschiedlich.

Arztkosten Wenn notwendig, aber von der Krankenkasse nicht erstattet
Auslandsstudium Ja, falls sich dadurch die Studienzeit nicht wesentlich erhöht und falls das Auslandsstudium für die spätere Karriere hilfreich sein kann. In anderen Fällen sind die Mehrkosten des Auslandsstudiums nur dann Mehrbedarf, wenn die Eltern über sehr gute Einkommensverhältnisse verfügen (OLG Hamm FamRZ 2014,563).
Betreuungskosten Bei Kindergartenkosten, Hortkosten und Kosten der Ganztagsschule liegt Mehrbedarf bzw. Sonderbedarf vor. Der Verpflegungsanteil ist aus den Kosten herauszurechnen (BGH FamRZ 2009,962). Nur die Kosten ohne Verpflegungsanteil stellen Mehrbedarf dar, für den die Eltern anteilig haften. Der Verpflegungsanteil hingegen ist aus dem normalen laufenden Unterhalt zu bestreiten.

Bei anderweitigen Betreuungskosten ist danach zu unterscheiden, ob die Betreuung im Interesse des Kindes erfolgt oder allein infolge der Berufstätigkeit des betreuenden Elternteils. Im letzteren Fall liegt kein Mehrbedarf des Kindes vor.  Die Betreuungskosten können dann allenfalls bei der Berechnung von Ehegattenunterhalt berücksichtigt werden, aber auch nur dann, wenn das Kind aufgrund eines Alters noch betreut werden muss.

Brillenkosten nein
Familienfeiern nein
Homöopathische Behandlung Nur, wenn medizinische Notwendigkeit nachgewiesen wird
Hortkosten siehe oben unter “Betreuungskosten”
Internatskosten sehr unterschiedliche Gerichtsentscheidungen, siehe die Anmerkung unten
Kinderbetreuungskosten siehe oben unter “Betreuungskosten)
Klassenfahrt die meisten Gerichte sagen: ja, siehe Anmerkung unten
Kleidung nein
Kommunion / Konfirmation sehr unterschiedliche Gerichtsentscheidungen, die meisten Gerichte sagen nein
Krankheitskosten ja, soweit sie notwendig sind, aber nicht von der Krankenkasse gezahlt werden
Lernmittel nein
Möbel nein
Musikausbildung nein, es sei denn es liegen gehobene Einkommensverhältnisse vor
Musikinstrument nein
Nachhilfe ja, wenn ihre Notwendigkeit unvorhersehbar war und die Nachhilfe nicht über einen langen Zeitraum läuft. Bei einem längerfristigen Förderbedarf kann ein Mehrbedarf des Kindes vorliegen. Hierfür haften beide Eltern anteilig nach ihren Einkommensverhältnissen.
Privatschule / Privatuniversität nein, es sei denn, die Eltern verfügen über überdurchschnittliche Einkünfte (OLG Düsseldorf FamRZ 2014,564).
Prozesskosten ja
Repetitor Nur dann, wenn die Universität ein kostenfreies Examensrepetitorium nicht anbietet (OLG Hamm FamRZ 2014,222).
Säuglingserstausstattung ja
Schüleraustausch sehr unterschiedliche Gerichtsentscheidungen, siehe Anmerkung unten
Semesterbeiträge nein
Sportausübung nein
Studiengebühren ja
Umzugskosten ja
Urlaubskosten nein
Zahnarztkosten ja, wenn sie nicht von der Krankenkasse gezahlt werden

Anmerkung:
Bei Internatskosten, Klassenfahrten, Kommunion, Schüleraustausch und ähnlichen Kosten lehnen die meisten Gerichte einen Sonderbedarf ab, weil solche Kosten nicht “unvorhersehbar” sind. Andere Gerichte unterscheiden danach, ob der normale, laufende Unterhalt nach einer der unteren Stufen der Düsseldorfer Tabelle (das sind die Stufen 1 bis 4) gezahlt wird, oder nach einer höheren Stufe (für eine Klassenfahrt z.B. AG Warendorf FamRZ 2015,332). Wird der laufende Unterhalt nur nach einer der unteren Stufen gezahlt, ist der Unterhalt also verhältnismäßig gering, dann liegt eher Sonderbedarf vor, als wenn der laufende Unterhalt höher ist. Denn dann ist es schwerer bis unmöglich, den zusätzlichen Bedarf aus dem geringen Unterhalt anzusparen.

Wie haften beide Elternteile für den Sonderbedarf?

Für den Sonderbedarf haften beide Elternteile anteilmäßig (also nicht nur wie beim Tabellenunterhalt der getrennt lebende Elternteil). Das bedeutet, dass sich auch derjenige Elternteil an den Kosten des Sonderbedarfs beteiligen muss, bei dem das Kind lebt – es sei denn, dieser Elternteil hat keinerlei Einkünfte bzw. keine Nettoeinkünfte über dem angemessenen Selbstbehalt von 1.650,- Euro.

Die Kosten werden auf beide Elternteile wie folgt verteilt: Zunächst wird für jeden Elternteil ein Einsatzbetrag ermittelt. Hierzu wird von seinem Einkommen der Selbstbehalt von 1.650,- Euro abgezogen. Die dann bei beiden Eltern verbleibenden Beträge werden zueinander ins Verhältnis gesetzt.

Beispiel: Es liegt ein Sonderbedarf i.H.v. 200,- Euro vor. Der Vater hat ein bereinigtes Nettoeinkommen von 2.300,- Euro, die Mutter ein bereinigtes Nettoeinkommen von 1.800,- Euro. Zieht man bei beiden jeweils den angemessenen Selbstbehalt von 1.650,- Euro ab, so bleiben beim Vater 650,- Euro übrig, bei der Mutter 150,- Euro. Zusammengerechnet ergeben diese beiden Restbeträge den Betrag von 800,- Euro. Der Vater hat also zu tragen: 650/800 x 200,- Euro = 163,- Euro, die Mutter 150/800 x 200,- Euro = 37,- Euro.

Hat keiner der beiden Eltern ein anrechenbares Nettoeinkommen von mehr als 1.650,- Euro, oder würde bei beiden Eltern nach Aufteilung des Sonderbedarfs weniger als 1.650,- Euro an Einkommen übrig bleiben, so wird dieselbe Berechnung mit dem sogenannten “kleinen” Selbstbehalt von 1.370,- Euro durchgeführt, falls das Kind minderjährig ist.

Weitere Besonderheiten bei der Geltendmachung von Sonderbedarf:

Sonderbedarf kann auch ohne vorherige Mahnung rückwirkend verlangt werden, allerdings maximal ein Jahr lang ab Entstehung des Anspruchs, § 1613 Abs. 2 BGB. Tritt durch die nachträgliche Geltendmachung beim Unterhaltsschuldner eine unbillige Härte ein – etwas weil er nur Geringverdiener ist und mit einer Nachforderung nicht mehr rechnete – , so kann rückwirkender Sonderbedarf ggfl. nur in Raten oder erst zu einem späteren Zeitpunkt verlangt werden. Unter Umständen erlischt der Anspruch auch völlig, § 1613 III BGB.