Das Trennungsjahr. Wann kann man frühestens die Scheidung einreichen?
Will man die Scheidung einreichen, muss man grundsätzlich bereits vorher mindestens ein Jahr getrennt gelebt haben. In bestimmten Fällen kann man die Scheidung aber auch schon früher einreichen.
Nach dem Gesetz müssen die Eheleute in der Regel mindestens ein Jahr getrennt leben, bevor die Scheidung eingereicht werden darf. Das kann man aber umgehen…
Grundsätzlich kann man erst nach dem (ersten) Trennungsjahr den Scheidungsantrag stellen. Es ist leider nicht möglich, den Scheidungsantrag schon ein halbes Jahr vorher einzureichen mit dem Argument, bis zum Scheidungstermin sei ja das Jahr auf jeden Fall vorbei.
Beispiel: Die Eheleute leben seit dem 10. September 2023 getrennt. Sie können grundsätzlich erst im September 2024 die Scheidung einreichen.
Wir reichen die Scheidungsanträge oft schon nach einer Trennungszeit von nur rund 10 Monaten ein. Damit haben wir noch nie schlechte Erfahrungen gemacht. Wegen dieser relativ kurzen Zeitspanne bis zum Ablauf des Trennungsjahres lehnen die Gerichte den Scheidungsantrag nicht ab. Wenn man den Scheidungsantrag aber noch früher einreichen würde, könnte es passieren, dass das Gericht den Scheidungsantrag kostenpflichtig ablehnt.
Von Ausnahmefällen abgesehen (dazu sogleich weiter unten) muss das Trennungsjahr immer eingehalten werden, auch bei sehr kurzen Ehen. Der Umstand, dass man erst kurz verheiratet ist, spielt also keine Rolle. Es gibt kein “Sonderkündigungsrecht” bei kurzen Ehen. Selbst wenn sich die Eheleute noch in der Hochzeitsnacht trennen, muss deshalb grundsätzlich das Trennungsjahr abgewartet werden.
Das Trennungsjahr muss auch dann abgewartet werden, wenn die Eheleute nach der Heirat die eheliche Lebensgemeinschaft gar nicht erst aufgenommen haben, also gar nicht erst zusammengezogen sind (OLG Hamm 1 WF204/13 vom 17.10.2013). In diesem Fall beginnt das Trennungsjahr, sobald einer der Eheleute unmissverständlich dem anderen Ehegatten mitgeteilt hat, dass er die eheliche Lebensgemeinschaft nicht mehr will.
Zur Frage, ob und wie das Trennungsjahr überhaupt nachgewiesen werden muss, lesen Sie bitte den Artikel “Wo meldet man die Trennung an?”
Kann man das Trennungsjahr umgehen?
In der Praxis behaupten die Eheleute manchmal übereinstimmend, sie seien bereits seit einem Jahr getrennt, obwohl das gar nicht stimmt. Meist kommen sie damit durch. Denn die Gerichte prüfen das Trennungsjahr praktisch nie nach, sondern glauben einfach den übereinstimmenden Angaben der Eheleute. Die Gerichte verlangen also weder die Vorlage einer Meldebescheinigung oder eines Mietvertrages, noch irgendwelche anderen Beweise. Allerdings ist Vorsicht geboten: eine falsche Vorverlegung des Trennungsdatums kann zu steuerlichen Nachteilen führen!
Ausnahmen vom Trennungsjahr:
In manchen Fällen muss kein Trennungsjahr eingehalten werden:
(1) Wenn beide Eheleute im selben Ausland leben und das dortige Scheidungsrecht kein Trennungsjahr vorschreibt.
Leben beide Ehegatten im selben Ausland, so ist grundsätzlich das Scheidungsrecht dieses Staates anzuwenden – egal, ob es sich um ein EU-Land oder um ein anderes Land handelt.
Beispiel: Leben beide deutsche Ehegatten in Brasilien, so ist brasilianisches Scheidungsrecht anzuwenden.
Das deutsche Familiengericht, wo die Scheidung stattfindet, wendet in diesem Fall also das ausländische Scheidungsrecht an. Das bietet dann Vorteile, wenn das Scheidungsrecht dieses Staates keine Mindest-Trennungszeit vorschreibt. Näheres dazu erfahren Sie im Kapitel “Internationale Scheidungen“.
(2) Wenn ein Ehegatte Ausländer ist oder wenn ein Ehegatte im Ausland lebt.
In solchen Fällen kann die Scheidung oft ohne Trennungsjahr erfolgen. Wir können Sie dazu gerne beraten. Schicken Sie und unverbindlich und kostenlos eine Email .
(3) Wenn ein “Härtefall” vorliegt.
Scheidungsanträge nach einer Trennungszeit von (viel) weniger als einem Jahr wegen eines “Härtefalls” sind in Ausnahmefällen möglich. Ein Härtefall liegt vor, “wenn die Fortsetzung der Ehe für den Antragsteller aus Gründen, die in der Person des anderen Ehegatten liegen, eine unzumutbare Härte darstellen würde” (so das Gesetz). Es muss also ein besonderer Grund vorliegen, der das weitere Abwarten unzumutbar macht. Der andere Ehegatte muss diesen Grund verursacht haben.
Die Voraussetzung für eine Scheidung bei einer kürzeren Trennungszeit als einem Jahr liegt vor, wenn es einem der Ehepartner völlig unzumutbar ist, noch länger mit dem anderen Ehepartner verheiratet zu sein, und wenn es ihm auch nicht zugemutet werden kann, das Trennungsjahr abzuwarten. Solche Umstände liegen z.B. vor
– wenn der Ehegatte misshandelt oder schwer gekränkt wurde (OLG Düsseldorf FamRZ 1977,804)
– wenn beide Ehegatten bereits in einer neuen festen Beziehung leben (z.B. OLG Köln FamRZ 1992,319; das wird aber nicht von allen Gerichten als Härtegrund anerkannt)
– wenn die Ehefrau von einem anderen Mann schwanger ist (OLG Hamm NZFam 2015,174)
– wenn der andere Ehegatte Alkoholiker oder drogenabhängig ist (OLG Bamberg FanRZ 1980,577)
– bei sexueller Erniedrigung durch den anderen Ehegatten.
Kein Härtefall ist gegeben, wenn sich der andere Ehegatte “nur” besonders lieblos verhalten hat, einen neuen Partner hat oder ähnliches. Solche Gründe sind keine ungewöhnlichen Härtefallgründe. Es ist – leider – normal, dass es im Zuge der Trennung auch zu persönlichen Auseinandersetzungen und Enttäuschungen kommt. Auch der Umstand, dass ein Ehegatte eine neue Beziehung hat, ist bekanntlich kein seltener Ausnahmefall.
Immer muss es sich aber um einen Umstand handeln, der “in der Person des anderen Ehegatten” vorliegt, wie es das Gesetz formuliert. Der Härtefall muss also vom anderen Ehegatten herbeigeführt worden sein, nicht aber vom Antragsteller selber. Deshalb kann z.B. nicht derjenige Ehegatte eine schnelle Scheidung verlangen, der selbst mit einem neuen Lebenspartner zusammenlebt (es sei denn, der andere Ehegatte hat auch einen neuen festen Partner). Aus demselben Grund kann auch nicht derjenige Ehegatte, der selber neuen Nachwuchs erwartet, eine schnelle Scheidung beantragen. In solchen Fällen sollten sich die Eheleute einigen, dass jeweils der andere Ehegatte den Scheidungsantrag stellt.
Wichtige Anmerkung: Die Gerichte sind meist sehr streng bei der Prüfung, ob ein solcher “Härtefall” vorliegt. In der gerichtlichen Praxis kommt es sehr selten vor, dass ein solcher “Härtefall” einmal akzeptiert wird. Wir haben erlebt, dass Richter selbst bei Fällen häuslicher Gewalt keinen “Härtefall” akzeptiert haben. Wegen eines Härtefalls eine Scheidung weit vor Ablauf des Trennungsjahres zu beantragen, ist deshalb immer schwierig. Um diese Schwierigkeit zu umgehen, behaupten in der Praxis die Eheleute manchmal, sie seien bereits seit einem Jahr getrennt, obwohl dies nicht stimmt. Das Gericht kann das praktisch nie nachprüfen, sondern muss sich auf die mündlichen Angaben der Eheleute verlassen.